Automatische Preissetzungssysteme

Dieses Kapitel behandelt informationstechnische Systeme, welche bereits eine automatisierte Preisgestaltung und teilweise auch eine Preisdifferenzierung im Einzelhandel ermöglichen. Wie zuvor bereits erwähnt und in Abbildung 10 ersichtlich wird, nutzen Online- Händler automatisierte Preissetzungs-Tools, welche nach bestimmten vordefinierten Regeln eine kontinuierlich Anpassung an die Konkurrenzpreise sicherstellen (Schleusener 2016, S.869). Die Seite „www.wisepricer.com“ beispielsweise bietet solche Software an, welche eine automatisierte und auf individuellen Regeln basierende Preissetzung ermöglicht , und umfasst zusätzlich die kontinuierliche, automatische Beobachtung der Wettbewerbspreise (Schleusener 2013, S.156). Ein Beispiel für eine denkbare Preissetzungsregel wäre zum Beispiel das stetige Unterbieten des Konkurrenzpreises um einen bestimmten Geldbetrag oder Prozentsatz. Solche wenig komplexerscheinenden bzw. simplen Algorithmen, welche nur ein oder wenige Faktoren, wie zum Beispiel nur den Wettbewerbspreis und die Kosten für die dynamische Preisgestaltung berücksichtigen, können insbesondere dann problematisch werden, sobald auch andere Wettbewerber solche ähnlichen Software-Lösungen nutzen. Die möglichen negativen Konsequenzen zeigt ein Extrembeispiel aus der Vergangenheit: Zwei unterschiedliche Händler, welche über Amazon das gleiche Buch verkauften, jedoch aufgrund unterschiedlicher Preisstrategien auch unterschiedliche Preisfestlegungsregeln definierten, passten ihre Preise so lange gegenseitig an, bis schließlich der Preis für das Buch über 23 Mio. US-Dollar betrug (Eisen 2011). Dies kam offensichtlich dadurch zustande, dass einer der Händler den Konkurrenzpreis kontinuierlich mit dem Faktor 0.99830 multiplizierte, vermutlich, um eine Preisführerschaft zu erwirken, und der andere hingegen verwendete analog den Faktor 1.27059, vermutlich mit dem Gedanken den höheren Preis als Ausdruck höherer Vertrauenswürdigkeit oder besserer Qualität zu nutzen (ebd.). Folglich besteht die Gefahr von Preisspiralen und der damit verbundenen Entstehung unsinniger Preise. Es sollte des Weiteren beachtet werden, dass nur jene Wettbewerber bei der Preisbildung einen bedeutenden Einflussfaktor darstellen, welche eine hohe Kreuzpreiselastizität zum eigenen Unternehmen aufweisen (Schleusener 2013, S.161). Zusätzlich muss beachtet werden, dass der durch eine Preissenkung entstandene Deckungsbeitragsverlust durch die dadurch bewirkte höhere Absatzmenge ausgeglichen wird (ebd.). Analog gilt dies für eine Preiserhöhung, d.h. die Absatzmenge darf dadurch nicht so weit zurückgehen, sodass die Erlöse abnehmen (ebd.). Um dies allerdings sicherzustellen, ist die Bekanntheit der Preis-Absatz-Funktion vonnöten (ebd.). Die Prognose der Preis-Absatz-Funktion und somit die Berücksichtigung der Deckungsbeitragssituation überschreitet allerdings die Leistungsfähigkeit der zuvor beschriebenen einfachen Preissetzungs-Softwarelösungen (ebd.). Folglich sind für eine optimale Preissetzung offensichtlich komplexere Systeme notwendig, welche auf Algorithmen basieren, die neben den Wettbewerbspreisen eine Vielzahl weiterer Preisbildungsfaktoren für die Preissetzung berücksichtigen (Schleusener 2016, S.869). Um dies zu ermöglichen, werden bereits auf künstlicher Intelligenz basierende Systeme erfolgversprechend eingesetzt: Decision-Support-Systeme von BlueYonder oder die Prudsys RE bedienen sich mithilfe selbstlernender Algorithmen an einer Reihe auserwählter Variablen um dementsprechend automatisiert optimale Preise zu bilden (Schleusener 2017, S.76; Kink 2008, S.71). Bevor diese Systeme an den Realbeispielen näher erläutert werden, soll der folgende Abschnitt, als Grundlage für das Verständnis, eine kurze Einführung in die Methoden der Künstlichen Intelligenz, beinhalten.

Künstliche Intelligenz

Eine exakte begriffliche Abgrenzung herkömmlicher Software von künstlicher Intelligenz stellt sich als schwierig heraus, da in der Literatur eine Vielzahl an unterschiedlichen Definitionen existiert. Lämmel und Cleve verstehen unter künstlicher Intelligenz generell ein „Teilgebiet der Informatik, welches versucht, menschliche Vorgehensweisen der Problemlösung auf Computern nachzubilden, um auf diesem Wege neue oder effizientere Aufgabenlösungen zu erreichen.“ (Lämmel und Cleve 2012, S.13). Gerade dieses Simulieren des menschlichen Vorgehens, worunter zum Beispiel das menschliche Lernen oder das eigenständige Lösen von Problemen fällt, hebt die künstliche Intelligenz von herkömmlichen Computerprogrammen ab (ebd., S-13-14). Die künstliche Intelligenz wird in der Literatur dennoch in zwei klar voneinander trennbare Ausprägungsformen unterteilt: Bei der klassischen bzw. symbolverarbeitenden künstlichen Intelligenz erfolgt die Wissensverarbeitung, bzw. Wissenswiedergabe allein durch die Anwendung logischer Methoden, wie zum Beispiel der Aussagenlogik oder anderer Methoden der Mathematik und Informatik (ebd., S.14). Im Gegensatz dazu werden beim sogenannten „Konnektionismus“ Daten nicht anhand logischer Konzepte verarbeitet, sondern die Automaten besitzen die Fähigkeit zum indirekten Erlernen von Wissen anhand von Beispieldaten, ähnlich der Funktionsweise des menschlichen Gehirns (ebd., S.16). Ein Beispiel hierfür sind die künstlich neuronalen Netze, welche im späteren Abschnitt näher betrachtet werden. Der Begriff Data Mining innerhalb des Themengebiets der künstlichen Intelligenz umfasst all die Verfahren, welche imstande sind, Wissen und Kenntnisse aus großen Datenbanken zu erlangen (Ertel 2016, S.196). Da die Begrifflichkeiten Data Mining und maschinelles Lernen nur schwer voneinander abzugrenzen sind, werden diese hier als Synonyme verstanden und umfassen allgemein Verfahren und Methoden, welche die Wissensgewinnung aus Daten, das automatische Lernen und die Erkennung von Abhängigkeiten innerhalb großer Datenmengen ermöglichen (Wrobel et al. 2000, S.406; McKinsey & Company 2017, S.12). Konkrete Methoden der künstlichen Intelligenz im Bereich des Konnektionismus sind zum Beispiel Entscheidungsbäume, Clusteranalysen, Bayes-Netze und die künstlich neuronalen Netze. Letztere werden im nächsten Schritt näher erläutert (Bankhofer 2004, S.2-4; Ertel 2016, S.182).

Künstlich neuronale Netze

Künstlich neuronale Netze beruhen auf der Idee, das Prinzip der Neuronen im menschlichen Gehirn zu imitieren und zu modellieren (Ertel 2016, S.265). Die Elemente der künstlich neuronalen Netze gleichen demnach sowohl im Aufbau als auch in der Funktionsweise einer natürlichen Nervenzelle (ebd., S. 265-266). Die Grundstruktur lässt sich wie folgt beschreiben: Es existiert zum einen eine Inputschicht, welche Eingabewerte xj in Form von Zahlen aufnehmen kann und zum anderen eine Outputschicht, welche Ausgabewerte xi als Ergebnis hervorbringt (Nielsen 2017). Zwischen diesen Schichten können zusätzlich auch mehrere sogenannte „verborgene“ Schichten bestehen, wobei der Output einer Schicht wiederum als Input für die nachfolgenden Schicht fungieren kann (ebd.). Die Komplexität des Netzes steigt folglich mit der Menge der Schichten. Wie man der Abbildung 11 entnehmen kann, sind die Inputknoten mit dem Zellkörper durch Kanten verbunden und die Kanten sind jeweils mit Zahlen gewichtet, in diesem Beispiel mit dem Faktor wij (Klüver und Klüver 2011, S.54).

Abbildung 9: Formaler Aufbau eines künstlichen Neurons (Ertel 2016, S.269)

Der Outputwert xi entsteht nun folgendermaßen: Alle Eingabewerte xj einer Schicht werden mit den zugehörigen Gewichten multipliziert und im Anschluss aufsummiert (Nielsen 2017). Dieser resultierende Wert wird in eine sogenannte Aktivierungsfunktion eingegeben, welche ein weiteres Mal einen neuen Wert generiert, der schließlich bei Überschreiten eines vordefinierten Schwellenwertes den Outputwert des Neurons darstellt (ebd.). Wird dagegen der Schwellwert nach Modifikation mittels der Aktivierungsfunktion nicht überschritten, so liefert das Neuron keinen Ausgabewert (ebd.). Die Sigmoid- Funktion mit einem Wertebereich zwischen 0 und 1 wird hierbei häufig als Aktivierungsfunktion eingesetzt (ebd.). Das Erlernen neuer Fähigkeiten, wie beispielsweise das Rechnen mit Zahlen, erfolgt beim Menschen mithilfe einer Reihe von Beispielen (Ertel 2016, S.192). Hierfür demonstriert der Lehrer beispielsweise das Verfahren der Addition zweier Zahlen anhand mehrerer Beispiele, führt die Rechnung also den Schülern mit unterschiedlichen Zahlen mehrfach auf, sodass diese schließlich nach genügend Übungen in der Lage sind, das Verfahren selbstständig auf unbekannte Zahlen anzuwenden (ebd.). Das Gelernte auf etwas unbekanntes zu übertragen nennt sich Generalisierung und kann den künstlich neuronalen Netzen in ähnlicher Form antrainiert werden (ebd.). Diese Fähigkeit nach dem Schema von Menschen lernen zu können stellt eine große Besonderheit der künstlich neuronalen Netze dar. Das Trainieren der Netze erfolgt dabei in einem ersten Schritt durch Eingabe von unterschiedlichen Trainingsdaten (Inputwerten), zu denen der Ausgabewert bereits bekannt ist, wobei die Kanten-Gewichte zunächst willkürlich gewählt sind (Klüver und Klüver 2011, S.54-55; Ertel 2016, S.291- 292). Die Trainingsdaten durchlaufen nun das Netzwerk und generieren gegebenenfalls einen Ausgabewert, welcher im nächsten Schritt mit der bekannten „Soll“-Ausgabe verglichen wird (ebd.). Die Gewichte wij werden nun so lange mittels eines spezifischen Algorithmus oder mittels einer Funktion modifiziert, bis die Abweichung zwischen der Zielausgabe und dem durch die Trainingsdaten entstandenen Output minimal wird (ebd.). Schritt für Schritt werden die Gewichte also eingestellt bzw. optimiert und das Netz „lernt“ mit zunehmenden Trainingseinheiten. Diese zuvor beschrieben Trainingsmethode nennt sich „überwachtes Lernen“, da zu den Trainings-Inputs die zugehörigen korrekten Ausgabewerte bekannt sind (Klüver und Klüver 2011, S.55). Im Gegensatz dazu wird das Netz bei dem sogenannten „bestärkenden Lernen“ und dem „selbstorganisierten Lernen“ ausschließlich mittels Eingabedaten trainiert, ohne das die dazugehörigen Outputwerte vorliegen (ebd.). Aus Komplexitätsgründen wird allerdings auf letztere Lernmethoden nicht näher eingegangen. Ist das künstlich neuronale Netz mit einer Vielzahl an Trainingsdaten hinreichend trainiert, ist es schließlich in der Lage auch zu Inputwerten mit noch unbekanntem Output „korrekte“ Ausgabewerte zu generieren. Künstlich neuronale Netze können somit beispielsweise Daten klassifizieren, was beispielsweise die Erkennung von Bildern und Handschriften ermöglicht, sowie Prognosen erstellen (Bankhofer 2004, S.3; Nielsen 2017).

KI-basierte Systeme

Im folgenden Abschnitt soll nun analysiert werden, wie der Einsatz von Methoden der künstlichen Intelligenz zu einer optimierten Preisgestaltung generell im Einzelhandel beitragen kann. Das McKinsey Global Institute spricht bereits davon, dass die künstliche Intelligenz das Potenzial zur neuen disruptiven Technologie besitzt (Bughin et al. 2017, S.4). Bereits im Jahr 2016 investierten digitale Giganten wie Google schätzungsweise 20-30 Milliarden US-Dollar in die Entwicklung und die Anschaffung von künstlicher Intelligenz, Tendenz steigend (ebd., S.4-6). Dennoch ist der tatsächlich Einsatz von künstlicher Intelligenz momentan noch zurückhaltend oder Unternehmen befinden sich noch in der Experimentierphase, wie eine Umfrage des McKinsey Global Institute bestätigt: Von den weltweit über 3000 Befragten Unternehmen gaben lediglich 9 Prozent an, Technologien, welche auf maschinellem Lernen basieren, anzuwenden (ebd., S.13). Hauptgründe hierfür sind die Unwissenheit der Manager über die Einsatzmöglichkeiten, den Nutzen und die Einbindung KI-Basierter Technologien in die Organisation (ebd., S.10). Indikatoren für die zunehmende Bedeutung der KI im Industriesektor heutzutage sind zum einen die besser werdenden Algorithmen und Computer und zum anderen die Entstehung und Generierung immer größerer Datenmengen, welche die Grundlage für KITechniken bilden (Bughin et al. 2017, S.6; McKinsey & Company 2017, S.11). Wie bereits erwähnt besitzen künstlich neuronale Netze die Fähigkeit Prognosen aufzustellen. Dies kann im Preismanagement im Einzelhandel beispielsweise dazu genutzt werden, Absatzzahlen zu prognostizieren (Buttkus und Neugebauer 2016, S.185). Eine Analyse des McKinsey Global Institutes ergab, dass Nachfrageprognosen mittels KI schätzungsweise bis zu 50% weniger fehlerbehaftet sind im Vergleich zu konventionellen Ansätzen zur Nachfragevorhersage (Bughin et al. 2017, S.22). Die BlueYonder GmbH ist eines der Unternehmen, welches bereits KI-Lösungen basierend auf künstlich neuronale Netze für eine automatisierte und optimierte Preissetzung anbietet (Kink 2008, S.71). Der ehemalige CERN Forscher Prof. Dr. Michael Feindt erfand im Jahr 2000 den Neuro-Bayes- Algorithmus und gründete 8 Jahre später die BlueYonder GmbH. Die BlueYonder-Anwendung beruht auf dem Neuro-Bayes-Algorithmus, welcher durch eine Kombination von künstlich neuronalen Netzen und Bayes´scher Mathematik entstand (Buttkus und Neugebauer 2016, S.184). Abbildung 12 veranschaulicht, dass das System dadurch nicht nur Prognosen (zum Beispiel Absatzprognosen) als Output liefern, sondern darüber hinaus noch die dazugehörigen Wahrscheinlichkeitsverteilungen kalkulieren kann (ebd., S.186). Es besteht zudem die Möglichkeit, über 250 Inputfaktoren miteinfließen zu lassen, zum Beispiel Artikeldaten wie Preis, Warengruppe, Marke, Farbe etc. (ebd.).

Abbildung 10: Absatzprognosen mit zugehöriger Wahrscheinlichkeitsverteilung
(Buttkus und Neugebauer 2016, S.186)

Trainiert man das Netz mit historischen oder aktuellen Trainingsdaten, so kann es schließlich zu jedem einzelnen Artikel Absatzprognosen stellen (ebd.). Weitere denkbare Inputfaktoren, welche einen Einfluss auf den Absatz haben und somit relevant für die Preisbildung sind, wären zum Beispiel Wettbewerbspreise oder Umweltfaktoren wie Wetter, Wochentag, Tages-oder Jahreszeit, Kundenbewertungen etc. (Schleusener 2016, S.869). Aus den so entstandenen Output-Faktoren können dementsprechend auch Preis-Absatz-Funktionen für jeden Artikel aufgestellt und folglich auch die Preiselastizitäten hergeleitet werden. Eine Voraussetzung für eine verlässliche Funktionsweise, ist jedoch, dass die Trainingsdaten richtig analysiert und für das Training nur die relevanten, generalisierbaren Daten selektiert und verwendet werden, da sonst die Gefahr des „Übertrainierens“ besteht und dadurch die Validität der Prognosen abnimmt (Buttkus und Neugebauer 2016, S.183-184). Die Absatzzahlen für Tomaten und Gurken zur Zeit der EHEC-Epidemie im Jahr 2011 wären beispielsweise als Trainingsdaten ungeeignet, da diese nicht die Regel sondern einen besonderen Ausnahmezustand zeigen (ebd., S.183). Durch die BlueYonder Price-Optimization-Lösung können tagtäglich, dynamisch und automatisiert Preise im Einzelhandel festgelegt und angepasst werden, mit zusätzlicher Berücksichtigung der strategischen Unternehmensziele (zum Beispiel Umsatzsteigerung oder Gewinnmaximierung) (BlueYonder 2018, S.4, S.8-9). Historische und aktuelle Daten werden stets analysiert und Faktoren wie zum Beispiel Wettbewerbspreise, Wetter, Marktveränderungen, Kosten, unternehmensspezifische Preisbildungsregeln, sowie die Preiselastizität fließen in die Preiskalkulation mit ein (ebd.). Der internationale Modehändler bonprix setzt bereits seit 2016 in seinen Hauptmärkten die KI-Lösung von BlueYonder für die Preisgestaltung ein (Blue Yonder Case Study 2018, S.2-3, S.6). Blue Yonder berichtet, dass nach einer vier monatigen Beobachtung des Einsatzes der Lösung im russischen Markt bonprix eine deutliche Umsatzsteigerung erzielen konnte (ebd., S.4). Neben der Möglichkeit zum zeitlichen Dynamic Pricing, ermöglicht die KI-Lösung auch eine Marktspezifische Preissetzung, das bedeutet, die Preisbereitschaften der Kunden unterscheiden sich je nach Absatzstandort bzw. Markt (zum Beispiel höhere Preissensibilität in Russland) und dies wird von der Lösung ebenfalls berücksichtigt (ebd., S.6). Durch das selbstständige maschinelle Lernen liefert die Lösung im Zeitverlauf immer bessere Ergebnisse und passt sich dementsprechend dem jeweiligen Markt und der individuellen Nachfragesituation immer besser an (ebd., S.10). Blue Yonder ermöglicht somit eine automatisierte standortbezogene Preisdifferenzierung und eine dynamische Preisgestaltung mittels KI. Auch ein Ansatz individualisierter Preissetzung macht sich bemerkbar: So hat die Blue Yonder Lösung das für Neukunden interessante Sortiment differenziert bepreist, wohingegen bei Stammkunden der Fokus auf gewinnbringendere Produkte gelegt wurde (ebd., S.9). Neben Blue Yonder bietet auch die Prudsys AG eine KI-basierte Lösung mit der Prudsys Recommendation Engine (Prudsys RE) für die dynamische Preisgestaltung an (Kink 2008, S.71). Die Prudsys AG wirbt damit, dass im Zeitalter der Digitalisierung, Big Data und einem sich schnell ändernden Markt der Einsatz von automatisierten, intelligenten Preisfindungssystemen notwendig wird (Prudsys Whitepaper 2018, S.5-6). Die selbstlernenden Algorithmen, welche in Echtzeit optimale Preise mithilfe der ermittelten Preiselastizität berechnen, berücksichtigen, genau wie die Blue Yonder-Lösung, eine Menge an Preisbildungsfaktoren (zum Beispiel Wettbewerbspreise), welche durch die automatische Datenerfassung und -analyse selektiert werden (ebd., S.6-7). Auch hier kann die Strategie und Zielsetzung des Unternehmens mit eingebunden werden (ebd., S.6). Die Preisbereitschaften der Kunden, Preisabsatzfunktionen sowie die Preiselastizitäten zu jedem Artikel können mit der prudsys Realtime Decision Engine (prudsys RDE) in Echtzeit ermittelt werden (ebd., S.8, S.13). Der lernende Algorithmus zieht dabei durch stetige Analysen Erkenntnisse aus dem Zusammenspiel aus Preissetzung und Kundenverhalten, und somit nimmt die Güte der Ergebnisse auch hier mit steigender Datenverfügbarkeit zu (ebd., S.13-14). Die Technik dahinter besteht aus einer Kombination von Data Mining Methoden wie Clusteranalyse und Entscheidungsbäumen sowie der Regressionsanalyse (ebd., S.16-18). Eine dynamische Preisgestaltung im Einzelhandel wird offensichtlich mit der KI-Technologie der prudsys AG realisierbar. Doch auch weitere Preisdifferenzierungsarten lassen sich mit der Dynamic- Pricing-Lösung von prudsys umsetzen: Neben intelligenter Preisbündelung (ebd.,S.10) besteht auch die Möglichkeit zur individualisierten Preissetzung. Auf Basis des Kaufverhaltens Einzelner, können neben individuellen Produktempfehlungen auch personalisierte Preis-Rabatte geboten werden (ebd., S.11). Geschieht dies auf Produkte, welche in hohem Interesse des Kunden stehen, so bewirken personalisierte Preisvorteile eine Stabilisierung der langfristigen Kundenbindung (ebd.). Andererseits können individuelle Rabatte auch für Produkte gesetzt werden, welche bisher vom Kunden nicht präferiert wurden, sodass ein Kaufanreiz auch für diese Produktgruppen entsteht (ebd.). Diese Strategie nennt sich auch Cross-Selling und könnte zur Umsatzsteigerung beitragen (ebd.). Voraussetzung für die Umsetzung sind Prognosen über das Kaufverhalten und das Wissen über individuelle Kundenpräferenzen, welche die KI-Lösung auf Basis von individuellen Transaktionsdaten und Kaufhistorien generieren kann (ebd., S.12). Auch der Lebenszyklus eines Produktes kann in die Preisgestaltung mit einbezogen werden, insbesondere für die Bestandsregulierung, indem beispielsweise verderbliche Ware oder technisch veraltete Produkte je nach Aktualität entsprechend bepreist werden (ebd, S.12).

Systeme für Kunden

Neben den Dynamic-Pricing-Systemen, welche Unternehmen die dynamische Preissetzung vereinfachen und optimieren, bestehen jedoch ebenso Tools, welche auf Kundenseite für eine optimalere Kaufentscheidung genutzt werden können (Schleusener 2016, S.871). So alarmiert beispielsweise der Anbieter meinpreiswecker.de den Kunden, sobald der Preis eines Produktes auf Amazon auf das gewünschte Preisniveau gefallen ist (Genth et al. 2016, S.870). Shoptagr.com ist ebenfalls ein Beispiel für eine Preisbenachrichtigungsseite, welche mittels eines Add-ins in den Browser integriert werden kann und somit ein individuell einstellbares Preistracking ermöglicht. Darüber hinaus existieren laut Schleusener auch komplexere Preisprognoseseiten, welche dem Kunden sogar Vorhersagen über den günstigsten Kaufzeitpunkt liefern (Schleusener 2013, S.158). Neben dem einfachen Preisvergleich durch das Internet und zahlreichen klassischen Preisvergleichsseiten, verschaffen die erwähnten Tools dem Kunden die Möglichkeit, trotz dynamischer Preissetzung seitens der Händler, den für Sie bestmöglichen Preis mühelos zu realisieren. Schleusener hält es sogar für denkbar, dass auch personalisierte Preise mittels von Kunden genutzten Technologien umgangen werden können, indem die Softwarelösungen beispielsweise hinterlassene Kundendaten zu gunsten der Kunden manipulieren oder aber die Kaufentscheidung wird gänzlich sogenannten Shop-Bots überlassen (Schleusener 2016, S.871). Zusammenfassend kann man festhalten, dass obgleich Unternehmen ihrerseits beispielsweise KI-Systeme anwenden, um die Konsumentenrente der Kunden durch differenzierte Preissetzung optimal abschöpfen zu können, auch auf Nachfrageseite Technologie-Potenziale bestehen, welche zum einen den Kunden den Anreiz geben könnten, ihre tatsächliche Preisbereitschaft zu unterbieten und zum anderen die Abschöpfung der Konsumentenrente auf Unternehmensseite erschweren (Schleusener 2013, S.159).